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April 2022 - Julia Faylenbogen

Begegnung am 19. April 2022 mit Julia Faylenbogen
Opernensembles. Mannheim ist Repertoire-Haus, und die Künstlerin legt eindrücklich dar, was dies bedeutet – schnelle Rollenwechsel, den ganzen stimmlichen Spannungsbogen von höchsten Höhen bis zu tiefsten Tiefen nutzen. Sie beherrscht dies alles: Klytämnestra, Adalgisa, Amneris, Eboli, die Amme in „Frau ohne Schatten“ sind weitere Glanzrollen, ihre hohe Bühnenpräsenz tut ein Übriges. 
Diese „Begegnung“ stand ganz im Zeichen der Kundry: Wenige Tage zuvor hat Julia Faylenbogen mit dieser Partie aus dem „Parsifal“ brilliert. So begrüßte der Moderator des Abends, Albrecht Puhlmann, die Sängerin als „unsere neue Kundry“.
Der Mannheimer Parsifal, das machte Julia Faylenbogen deutlich, ist eine Institution. Das kleine Jubiläum (65 Jahre Parsifal-Inszenierung) legt davon Zeugnis ab, und man glaubt der Sängerin, dass es eine Ehre ist, eine Hauptrolle in dieser großen Oper zu singen. Mit viel Enthusiasmus erzählt sie von der Rolle, davon, dass sie vor allem auch eine körperliche Herausforderung darstellt. Daneben gibt sie Einblick in ihre Bühnenarbeit: Vertrauen ist erste Voraussetzung – in den Dirigenten bzw. die Dirigentin, den Regisseur bzw. die Regisseurin, den Repetitor bzw. die Repetitorin vor allem. Wie viel Zeit musste sie zum Einstudieren dieser Rolle aufwenden? Viel Zeit!
Albrecht Puhlmann hat sich vorgenommen, an diesem Abend einerseits die letzten Jahre Revue passieren zu lassen – denn Julia Faylenbogen war 2016 schon einmal Gast bei einer „Begegnung“ – und andererseits den Lebensweg von Julia Faylenbogen mit ihr abzuschreiten.
Seit der Spielzeit 2015/16 ist Julia Faylenbogen Mitglied des Mannheimer
Stationen in Faylenbogens Karriere sind Berlin (Hanns Eisler Musikhochschule), Düsseldorf, dann Hannover und schließlich Mannheim. Angefangen hat sie als Fünfjährige – mit dem Klavierspielen, später stellte sich heraus, dass die Tochter einer Sängerin und Chorleiterin ihre Berufung im Gesang hat.
Julia Faylenbogen, verheiratet mit einem Russen, stammt aus der Ukraine. Eindrücklich berichtet sie davon, dass bereits zu Zeiten der Sowjetunion ein großer Unterschied zwischen der West- und der Ostukraine bestanden hat, ein Unterschied zwischen europaorientiert und der Sowjetunion zugewandt. Dieser Unterschied machte sich nicht zuletzt sprachlich bemerkbar: In der Westukraine wurde ukrainisch, in der Ostukraine russisch gesprochen. Und da sie Familie in beiden Landesteilen hatte, spricht sie beide Sprachen.
Natürlich blieb es nicht aus, über den Krieg und seine Aggression und Brutalität zu sprechen, vor allem aber über die große Hilfsbereitschaft und Unterstützung, die den Betroffenen zuteil werden, nicht zuletzt auch durch Julia Faylenbogen. Es ist ihr vielfach gelungen, Menschen auf ihrer Flucht nach Deutschland zu unterstützen und Kontakt zu aufnahmebereiten Familien herzustellen. Sie erzählt von Familien mit musikalisch überdurchschnittlich begabten Kindern, denen sie z.B. zu einem Studienplatz verholfen hat. Und dazwischen die Rolle der Kundry einstudieren – wie geht denn das? Die Sängerin macht deutlich, dass sie hier in zwei Richtungen dachte: arbeiten, um helfen zu können; aber auch phasenweise den Krieg ausblenden, um der Kundry gerecht zu werden.
Drei Gesangseinlagen hat die Künstlerin mitgebracht, die jeweils auf ihre Weise einen hoch aktuellen Bezug haben: am Klavier begleitet von Studienleiter Gábor Bartinai sang Julia Faylenbogen das Wiegenlied aus dem 2. Akt des Parsifal (sie ließ das Publikum wissen, dass es viel schwieriger ist, bei der Begegnung auf dem kleinen Podest nahe am Publikum zu singen, als auf der großen Opernbühne); danach „Ne poi krasavica pri mne“ von Rachmaninoff – dem Russen, der aus der Sowjetunion flüchten musste; und schließlich ein ukrainisches Volkslied in Bearbeitung von Jewhen Stankowytsch, das von den Kommunisten verboten wurde und das sie a cappella sehr gefühlvoll darbrachte.
Julia Faylenbogen ist ein Glücksfall für die Mannheimer Oper und ein großartiges Beispiel für den hohen Wert des Ensembletheaters – das hat diese „Begegnung“ überdeutlich gemacht.