Freunde und Förderer des Nationaltheaters Mannheim

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Anne Lepper, 2014/2015

ANNE LEPPER, Hausautorin am Nationaltheater in der Spielzeit 2014/15
Hausautorin Anne Lepper im Gespräch mit Martin Vögele Mannheimer Morgen, 08.04.2015
Das Interview im Wortlaut

„Ein hartnäckiger Song-Ohrwurm begleitet uns auf dem Weg zum Gespräch mit Anne Lepper ins Theatercafé: "Happy Together" von der US-amerikanischen 60er-Jahre-Rockband The Turtles. "Imagine me and you, I do" - diese Songzeile hat die aktuelle Hausautorin am Mannheimer Nationaltheater (NTM) einem kurzen Text vorangestellt, den sie für das Spielzeitheft 2014/2015 verfasste. "Ich habe diesen Film gesehen", erklärt sie mit Blick auf Wong Kar-Wais ziemlich fabelhaftes, gleichnamiges cineastisches Werk "Happy Together". "Daher war das Lied plötzlich so präsent. Und dann musste ich das ein paar Mal sehr laut hören. Es ist einfach toll, oder?", sagt Lepper - und lacht.

Happy Together, "gemeinsam glücklich", das führt uns zur Frage, welche Rolle der Suche nach zwischenmenschlichem Glück in ihren Stücken zukommt? "Das ist das Problem", berichtet sie - das Glück bei den anderen und nicht bei sich selbst zu suchen. "Man müsste das doch eigentlich sich selbst geben können". "Aber das ist doch jetzt sehr rührselig", merkt Lepper an - und lacht wieder.

Übergewichtige Kinder, die in einem abgelegenen Heim in den Bergen ihre Pfunde verlieren - während zu Hause andere (dünne) Kinder ihre Plätze eingenommen haben; die Rituale und Zugehörigkeitsnormen der "feinen Gesellschaft"; eine Frau, die ihre Karriere als Balletttänzerin zugunsten ihrer Kinder geopfert hatte, sich und ihre Familie in der Wohnung verbarrikadiert und nun ihr ungenutztes Talent ausleben will: das sind einige der Sujets und Charaktere, die Leppers theatrale Welten chaussieren. Sechs Stücke sind es insgesamt an der Zahl, welche die 1978 geborene Autorin seit 2009 erarbeitet hat. Eine Schriftstellerin, der Theaterkritiker Peter Michalzik bescheinigte "das größte Dialogtalent seit Werner Schwab" zu sein. Mit welchen Adjektiven sie selbst ihr Werk belegen würde? "Komisch", fällt der auf einnehmende Weise nachdenklichen jungen Frau, die hinter ihre Antworten immer wieder gern ein Fragezeichen setzt, auf Anhieb dazu ein.

"Verstörend", "witzig", "bitterböse", "abgründig", urteilen andere und heben die "sprachbesonderen Eigenheiten" ihrer Stücke hervor, die der Dramatikerin bereits eine ganze Reihe von Auszeichnungen und bemerkenswerten Erfolg beschert haben: Ihr Debütstück "Sonst alles ist drinnen" gewann 2009 den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik, 2010 wurde es an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Mit "Käthe Hermann" (Uraufführung 2012 am Theater Bielefeld) wurde die Autorin zu den Mülheimer Theatertagen und zu den Autorentheatertagen ans Deutsche Theater Berlin eingeladen. "Hund wohin gehen" wurde zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2011 eingeladen - dort bekam sie auch einen tt-Werkauftrag, in dessen Folge "Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier" entstand. Dem Mannheimer Publikum hat sie sich diesen Januar im Rahmen der "FrühStücken"-Reihe des NTM vorgestellt, bei der ihr neuestes Schauspiel "Ach je, die Welt" gelesen wurde, das am 8. Mai am Kinder- und Jugendtheater in Dortmund Premiere feiern wird. Zudem wurde just im Februar Leppers fünftes Stück "La Chemise Lacoste" unter der Regie von Alia Luque am Schauspielhaus Düsseldorf uraufgeführt.

Ein eindrucksvolles kreatives Pensum der Autorin, die von der "Theater heute"-Kritikerjury 2012 zur "Nachwuchsdramatikerin des Jahres" gewählt wurde und als eine der großen Hoffnungen des Gegenwartstheaters gehandelt wird. Sie selbst begegnet dieser exponierten Außenwahrnehmung mit nüchterner Bescheidenheit: "Pro Jahr braucht es ein, zwei solcher Kandidaten", meint Lepper, "das ist nicht so persönlich zu nehmen, denke ich." Sie schreibe in Anbetracht der hohen Aufmerksamkeit, die ihrem Schaffen zuteilwird, keine anderen Stücke, "sondern einfach das, was halt gerade so kommt". Woran sie für das Nationaltheater arbeitet, kann an dieser Stelle nicht berichtet werden, "das ist noch gar nicht weit", sagt Lepper. Was sie allerdings schon verraten kann, ist, dass sie bei den bevorstehenden Schillertagen am Nationaltheater einen Workshop geben wird. Wir glauben: Das dürfte ziemlich interessant werden.“

Hausautorin Anne Lepper
1978 in Essen geboren
Studium der Philosophie, Literatur und Geschichte in Wuppertal, Köln und Bonn sowie literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste in Bern, im Anschluss Promotionsstudien in Bamberg und Essen
2013 Dramatikerpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft und ein Stipendium der Contemporary Arts Alliance Berlin
01.05.2015 Heidelberger Stückemarkt:  "Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier" unter der Regie von Dominic Friedel, Gastspiel Konzert Theater Bern


Anne Lepper
Hausautorin am Nationaltheater in der Spielzeit 2014/15

Anne Lepper studierte Philosophie, Literatur und Geschichte in Wuppertal, Köln und Bonn
sowie literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste in Bern. Es folgten Promotionsstudien in Bamberg und Essen. Zurzeit lebt sie in Wuppertal.

Ihr Debütstück Sonst alles ist drinnen gewann 2009 den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik und wurde 2010 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Es folgten die Stücke Kathe Hermann, Hund wohin gehen wir und Seymour. Mit Kathe Hermann, uraufgeführt am Theater Bielefeld, wurde Anne Lepper zu den Mülheimer Theatertagen 2012 und zu den Autorentheatertagen ans Deutsche Theater Berlin eingeladen. Hund wohin gehen wir wurde zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2011 eingeladen, bei dem sie auch den dort vergebenen Werkauftrag
zugesprochen bekam. In Folge dessen entstand Seymour, Anne Leppers vierter Text für
die Bühne.

Anne Leppers Stücke sorgen besonders durch ihre verstörenden und sprachbesonderen
Eigenheiten für Beachtung. So ist ihr Stück Seymour eine skurrile Parabel auf den Perfektionierungswahn unserer Gesellschaft: In einem abgelegenen Heim in den Bergen, fernab von ihren Eltern, sollen übergewichtige Kinder ihre Pfunde verlieren – während zuhause schon längst andere, dünne Kinder ihre Plätze eingenommen haben. Mithilfe grotesker Figuren und literarischer Übertreibungen, die sich ins Surreale steigern, erzählt Seymour auf witzige und bitterböse Weise von unserer tief sitzenden Angst, nicht zu genügen.

Die Zeitschrift Theater heute wählte sie 2012 zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres, 2013 erhielt sie den Dramatikerpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft und ein Stipendium der Contemporary Arts Alliance Berlin.


Text von Anne Lepper für das Spielzeitheft des NTM 2014 / 2015:
Imagine me and you, I do

Es ist besser nüchtern zu sein. Dem Nüchternen gelingt alles besser, ihm gelingt das Familienleben besser – me and you and you and me – und ihm gelingt das Arbeitsleben besser und auch das Freizeitleben gelingt ihm besser und vielleicht auch das Leben. Der Nüchterne stürzt nicht, er stürzt nicht in der Familie, er stürzt nicht im Büro und der Nüchterne stürzt nicht im Theater, er bewegt sich nahezu fehlerfrei. Manchmal stürzen Nüchterne, gewöhnlich aber stürzen sie nicht, und es ist besser, nicht zu stürzen. Wenn aber gar nichts gelingen soll, wenn das Familienleben nicht gelingen soll – me and you and you and me – und wenn das Arbeitsleben nicht gelingen soll und wenn das Freizeitleben nicht gelingen soll und das Leben, weil gelingen zu wenig ist und stürzen eventuell ok, was dann.

Wo möchtest Du leben?
Ganze gerne da, wo ich jetzt lebe.

Welche drei Gegenstände nimmst Du mit auf eine einsame Insel?
Ich möchte lieber nicht auf eine einsame Insel.

Wovor hast Du Angst?
Leute wiedersehen.

Was ist Dein Lieblingsfilm?
E.T.

Wer ist Dein Lieblingsschriftsteller?
M. Blecher

Wovon träumst Du am liebsten?
Ohne Traum.

Dein größtes Laster?
Maßlosigkeit

Was ist Deine Lieblingsbeschäftigung (online/offline)?
Croquet

Welche sind Deine Lieblingsnamen?
Amanda

Welche natürliche Gabe würdest Du gerne besitzen?
Gut rechnen können.

Wie möchtest Du sterben?
Gern nicht ganz so brutal.

(Fragebogen veröffentlicht in der Septemberausgabe 2014 des Theatermagazins des NTM.)

Ermöglicht wird der Aufenthalt der Hausautorin durch die freundliche Unterstützung der Freunde und Förderer des Nationaltheaters Mannheim e.V.